New Thought. Die unbekannten Ursprünge des "positiven Denkens"

Es gilt bei diesem Thema "vorsichtig" zu sein, um Missverständnisse zu vermeiden. Deshalb sollen in aller Sorgfalt einige Begriffsklärungen und Differenzierungen vorangestellt werden, bevor es in medias res geht. Denn es gibt wohl niemanden, der den Begriff des "positiven Denkens" nicht schon gehört hätte oder vielleicht sogar unmittelbarer mit dem Thema in Berührung gekommen ist, was angesichts der Masse an (zum größten Teil schlechter) Ratgeberliteratur nicht schwerfällt. Jeder scheint "intuitiv" in der Lage zu sein, "irgendetwas" mit dem Begriff des "positiven Denkens" verbinden bzw. sich eine gewisse Vorstellung davon machen zu können, was darunter zu verstehen sei. Dieses "Etwas" bleibt gleichwohl zumeist sehr allgemein gehalten und nebulös. Wir wollen deshalb im Nachfolgenden den Versuch unternehmen, etwas Licht in die Angelegenheit zu bringen. Es wird sich dabei herausstellen, dass es uns weniger um das noch relativ junge Phänomen des "positiven Denkens" im engeren Sinne geht, verstanden als ein Konzept, wie es in unzähligen Persönlichkeits- und Erfolgsseminaren zur Anwendung kommt, als vielmehr um die weitgehend unbekannten Traditionen, aus denen sich dieses "positive Denken" entwickelt hat, ohne dass sich dessen heutige Vertreter darüber immer im Klaren zu sein scheinen. Während das "positive Denken" neuerer Prägung über weite Strecken "technisch-instrumentell" geprägt ist und vielfach "oberflächlich" bleibt, gehen dessen geistesgeschichtliche Vorläufer "tiefer" und weisen auf eine durchaus interessante Weise ein philosophisch-metaphysisches Fundament auf, das es wert ist, näher in Betracht gezogen zu werden.
Das Thema "positives Denken" hat sich in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten großer Beliebtheit erfreut. Das zeigt sich etwa daran, dass die Buchhandlungen förmlich vor Ratgeberliteratur überquellen, die im weitesten Sinne diesem Themenkomplex zugeordnet werden kann. Hinter dieser gesteigerten Nachfrage nach "geistig-spiritueller Hilfestellung" können unterschiedliche Motivlagen geortet werden. Zum einen gibt es bei vielen Menschen die Hoffnung bzw. den Glauben daran, sich durch spezifischere Kenntnisse in diesem Themenbereich zu mehr "Erfolg" verhelfen zu können, wobei es zumeist um materiellen Erfolg geht. Andererseits verbergen sich hinter der gesteigerten Nachfrage nach entsprechender Ratgeberliteratur aber auch "tiefere", "spirituelle" Bedürfnisse - etwa nach "Glück", der Befreiung von Angst oder anderen seelischen Belastungen, die manchmal durchaus auch als im Zusammenhang mit den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen stehend begriffen werden. Während die erstgenannte Motivlage zumeist bei Personen anzutreffen ist, die im Wesentlichen die gängigen normativen Handlungsanweisungen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung übernehmen und innerhalb derselben reüssieren wollen, was sich bspw. im Phänomen der "Selbstoptimierung" äußert, ist es bei der zweitgenannten Motivlage unzweifelhaft so, dass die in ihr zum Ausdruck kommenden Bedürfnisse (etwa nach mehr "Lebenssinn" oder "innerer Zufriedenheit") zu den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen in einer Beziehung der "reziproken Proportionalität" stehen. Das soll heißen: Je mehr sich gesellschaftliche Normvorgaben wie Individualität, Leistungsfähigkeit, Erfolgsorientierung, Schnelligkeit, Selbstoptimierung, Flexibilität, Funktionalität usw. verstärken, desto mehr wächst andererseits das entgegengesetzte Bedürfnis nach Entschleunigung, Selbstakzeptanz, Gemeinschaft, Spiritualität, "Wahrheit" oder einem wie auch immer definierten inneren und äußeren "Frieden". Diese Bedürfnisse wachsen sozusagen "umgekehrt proportional" zum Fortschreiten einer gesellschaftlichen "Ordnung", die in vielen Bereichen als von einem "stumpfen" und stupiden Rationalismus durchzogen empfunden wird - sei es in der Ökonomie, der Politik, der Wissenschaft, den zwischenmenschlichen Beziehungen oder ganz allgemein im Hinblick auf das persönliche oder kollektive Natur- und Transzendenzverhältnis. Diese Motivlage herrscht bei Personen vor, die zunächst einmal "gefühlsmäßig" (weniger theoriebasiert) den gesellschaftlichen Verhältnissen "kritisch" gegenüberstehen. Während sie gewissermaßen "spüren", dass etwas "schief läuft", und auf ihrer Suche nach "Wahrheit" unter anderem auch auf das Thema "positives Denken" aufmerksam werden, verspricht sich die erstgenannte Gruppe durch die strenge Befolgung bestimmter "Erfolgstechniken" Reichtum, Macht, gesellschaftliche Anerkennung und in weiterer Folge individuelles "Glück" und "Zufriedenheit". Die genannten Motivlagen können auch gemeinsam auftreten, und in vielen Fällen gehen sie ganz praktisch betrachtet Hand in Hand. Während es aber aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive unmöglich erscheint, dass es schlechthin alle Menschen zu Erfolg und Reichtum bringen können (dem widerspricht bereits die Funktionslogik der kapitalistischen Ökonomie), kann im Hinblick auf das einzelne Individuum ein Reüssieren im "Materiellen" durchaus mit einer "tieferen", geistig-spirituellen Grundausrichtung kompatibel sein bzw. durch "positives Denken" gefördert werden.
Die große Nachfrage nach "spiritueller" Ratgeberliteratur beruht auf entgegengesetzten Motiven. Das "Motto" lautet entweder Anpassung an oder Abgrenzung von den Imperativen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung.
Dennoch lässt sich festhalten, dass das "positive Denken" im engeren Sinne dazu tendiert, die individuelle Perspektive zu verallgemeinern, ohne die hemmenden gesamtgesellschaftlichen Mechanismen insbesondere des herrschenden ökonomischen Systems ausreichend in Betracht zu ziehen. "Persönlichkeitsentwicklung" oder "positives Denken", insbesondere dann, wenn es die gesellschaftlichen Verhältnisse unhinterfragt als gegeben voraussetzt, sollte deshalb nie als "Allheilmittel" zur "Weltverbesserung" verstanden werden. Insbesondere kann es keine Gesellschaftstheorie ersetzen, nicht im gegenwärtigen Stadium menschheitsgeschichtlicher Entwicklung. So lange sich die gesellschaftlichen Verhältnisse, um den "spiritualistischen Duktus" des "positiven Denkens" zu übernehmen, nicht durch eine "innere Wandlung" aller Individuen oder jedenfalls einer ausreichend großen Anzahl gleichsam bottom up und "von selbst" ändern, bleibt der "exoterisch"-analytische Blick von außen auf das gesellschaftliche Ganze als zusätzliche Komponente unerlässlich. Über die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlicher "Außenwelt" und individueller bzw. kollektiver "Innenwelt" wird noch zu sprechen sein.
Unser Bestreben ist es, zum einen eine historische Rekonstruktion der Herkunft dessen zu geben, was heute als "positives Denken" auftritt, und zum anderen den philosophischen Kern "herauszuschälen", auf den es dabei zuerst und zuletzt ankommt. Denn auch jene Personen, die sich nicht im "tieferen" Sinne auf der Suche nach einer neuen Form von "Spiritualität" jenseits tradierter "Religionen" befinden, sondern ganz profan nach "Erfolg" und "Glück" streben und dabei auf Dinge wie "positives Denken", "geistige Gesetze" oder dergleichen stoßen, werden, so die These, in erster Linie von den philosophisch-metaphysischen "Zwischentönen" getriggert, die in der einschlägigen Ratgeberliteratur mitschwingen, auch wenn darin nicht mehr explizit von Philosophie oder Metaphysik die Rede ist.
Es
wird uns in weiterer Folge vor allem um die Vorläufer des "positiven Denkens" neuerer Prägung gehen, und hier
ebenfalls "nur" um das Wesentliche ihrer Konzeptionen. Damit werden wir
zwangsläufig vieles beiseitelassen. Ziel soll es sein, weniger geschulten "Suchenden"
eine Hilfestellung anzubieten, mit der sie Sinnvolles von Zweifelhaftem
unterscheiden können. Von großer Wichtigkeit scheint in diesem Zusammenhang der
Hinweis, dass man die Beschäftigung mit "spirituellen" Themen in erster Linie als
eine Beschäftigung mit sich selbst und seinem Verhältnis zur "Welt" verstehen
sollte. Und bei dieser individuellen Herangehensweise sollte es zunächst einmal
bleiben. Alles missionierende Pathos sollte unbedingt vermieden werden. Wer
durch eine geeignete Form von "Spiritualität", basierend bestenfalls auf
metaphysischen Konzepten, zu einem fruchtbaren Selbstverständnis und ‑verhältnis
findet, wird dies seiner Umwelt ganz von selbst mitteilen, ohne verwirrend
wirkende Inhalte um jeden Preis und nicht selten "krampfhaft" kundtun zu
müssen.
Zuallererst stellen wir fest und grenzen sukzessive ein:
1) Unter den Begriff "positives Denken", sofern man ihn in einem weiten Sinne fasst, lässt sich zunächst einmal alles subsumieren, was es an Ratgeberliteratur zu den Themen "Erfolg", "Glück", "Zufriedenheit", "Selbstfindung", "Persönlichkeitsentwicklung" usw. in den Buchhandlungen zu erwerben gibt. Das Spektrum ist schier unerschöpflich, und man verliert allzu leicht den Überblick. Außerdem verschwimmen die Grenzen zunehmend. So finden sich Postulate des "positiven Denkens" mittlerweile auch in vielen Business- oder auf andere Art thematisch eingegrenzten Ratgebern. Die wichtigste Erkenntnis im Zusammenhang mit derartigen Werken mag sein, dass es deren Produzenten nicht selten in erster Linie darum geht, Geld zu verdienen, und dabei nützen sie das gesteigerte Bedürfnis nach Sinnsuche in einer zunehmend entsakralisierten und technokratischen Welt allzu oft auf schäbige Weise aus. Selbstverständlich aber darf nicht alles in Bausch und Bogen verteufelt werden, denn manchmal stehen hinter derartigen Angeboten auch echte und hehre Ziele, selbst wenn grundlegendste philosophische "Qualitätsstandards" verfehlt werden. Eine kritische Distanz scheint jedenfalls vor allem beim "Erstkontakt" mit entsprechender Literatur angebracht.
2) Grenzt man den Begriff des "positiven Denkens" etwas weiter ein, so kann man darunter jene Ratgeberliteratur verstehen, die sich im engeren, eigentlichen Sinne mit "positivem Denken" beschäftigt. In diesem Kontext wird darunter eine Methode verstanden, mit der der Anwender derselben durch konstante positive Beeinflussung seines bewussten Denkens, z. B. durch Affirmationen oder Visualisierungen, eine dauerhaft konstruktive und optimistische Grundhaltung erreicht, die in weiterer Folge zu mehr Zufriedenheit und Lebensqualität führen soll. Als Randnotiz kann in diesem Zusammenhang sogleich auf den Begründer der Methode der bewussten Autosuggestion Emil Coué (1857-1926) ("Die Selbstbemeisterung durch bewußte Autosuggestion") hingewiesen werden, bei dem es sich allerdings nicht um einen Vertreter des "positiven Denkens" im engeren Sinne handelt, der aber durch die empirische Erforschung jener Methode, die sich auch das "positive Denken" zu eigen gemacht hat, in den weiteren Umkreis desselben eingeordnet werden kann. Wir werden im Rahmen eines kurzen Exkurses zur Psychoanalyse noch näher auf die im Zusammenhang mit dem Thema "positives Denken" notwendige Differenzierung des "psychischen Apparats" eingehen, wie sie in einer grundsätzlichen Form auch bei Coué ("bewusstes" vs. "unbewusstes Ich") zu finden ist.
"Positives Denken" bezeichnet die Anwendung konkreter Methoden, wie z.B. Autosuggestionen oder Visualisierungen, zur Beeinflussung des bewussten Denkens. Die Coué-Methode kann als frühe Form der "Psychotherapie" verstanden werden.
"Positives Denken" im Sinne dieser Methode darf vorab jedenfalls bis zu einem gewissen Grad in Schutz genommen werden. Denn zweifellos ist es so, dass wir heute über die Massenmedien und die technischen Geräte unseres Alltags mit einem unentwegten Strom von Negativität konfrontiert sind ("only bad news are good news"), sodass sich unser Bewusstsein beständig in einem Gedankenumfeld bewegt, das wenig förderlich zu sein scheint im Hinblick auf die Gewinnung einer positiven Grundeinstellung. Die Welt erscheint per se als schlecht. Aus aktuellem Anlass sei etwa auf das mittlerweile zweijährige, tagtägliche "Bombardement" mit Corona-Inzidenzzahlen verwiesen, das bei vielen die ohnehin vorhandenen existentiellen Ängste unnötig verstärkt hat. Dagegen einen wie auch immer gearteten "Schutz" aufzubauen (nicht zu verwechseln mit "Weltflucht" oder "Verdrängung"), und sei es durch Techniken des "positiven Denkens", kann grundsätzlich nicht schaden. Jedem sei an dieser Stelle der Rat zu einem eingeschränkten Konsum von Massenmedien ans Herz gelegt. Alternativ bietet sich die Beschäftigung mit guter, ausgewählter Literatur an, die das persönliche Fortkommen weit eher zu fördern in der Lage ist als die Dauerberieselung mit massenmedialem "Informationsunrat".
Zu den "theoretischen" Postulaten des "positiven Denkens" - um damit von der empirischen Herangehensweise Coués zur mehr idealistisch-"esoterischen" Ausprägung zu kommen (wir verwenden den Begriff "esoterisch" nicht ausschließlich in der gängigen, plump abwertenden Weise) - kann vorab folgendes festgehalten werden: Im Zentrum steht zumeist die These, dass sich das (immer und immer wieder) bewusst Gedachte mit Fortdauer seiner Präsenz im Bewusstsein in gewisser Weise in diesem festsetzt und über den Umweg des "Unbewussten" (dazu später mehr) dazu tendiert, sich in der "Außenwelt" durch bestimmte "Anziehungsgesetze" oder dergleichen zu realisieren bzw. zu materialisieren. Das Wichtige für uns ist aber zunächst nicht so sehr der Inhalt dieser These, sondern aus Gründen der Differenzierung der unterschiedlichen historischen Ausprägungsformen des "positiven Denkens" die Tatsache, dass hierfür zumeist keine differenzierte metaphysische Ausdeutung mitgeliefert wird. Vielmehr wird im "positiven Denken" jüngerer Prägung geglaubt, Metaphysik gewissermaßen ersetzen zu können durch die permanente Wiederholung dieser als "Glaubenssätze" erscheinenden Thesen selbst. Dies führt dazu, dass dieser Ausprägung des "positiven Denkens" eine Aura anhaftet, die sich als eine eigenartige Mischung aus "kalter", instrumentell-technisch anmutender Methodik (mantraartige Repetitionen) und, wenn man so will, zu wenig "kühler", d. h. "irrationaler" inhaltlich-theoretischer Begründung charakterisieren lässt. Wenn dem "positiven Denken" neuerer Prägung des Öfteren der Vorwurf gemacht wird, es handle sich dabei um "Hokuspokus" (Wissenschaftsgläubige artikulieren derartiges oft ohne jeden Anflug von Selbstkritik), so verbirgt sich dahinter zumeist dieses "Defizit".
Dem "positiven Denken" jüngerer Prägung mangelt es an einer differenzierten "metaphysischen" Einbettung seiner Thesen und Methoden.
3) Geht man historisch weiter zurück und sucht nach den Ursprüngen dieses "positiven Denkens" neuerer Prägung, so landet man beim amerikanischen New Thought (dt. oft als "Neugeist" oder "Neugeistlehre" bezeichnet). Es handelt sich dabei um eine geistige "Erneuerungsbewegung", die sich Mitte des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten herausgebildet und sehr schnell sowohl inhaltlich als auch organisatorisch stark differenziert hat. Ich würde, was das New Thought Movement anbelangt, jedenfalls zwei Generationen voneinander unterscheiden und auch hierbei nur auf das Wesentliche fokussieren: Die jüngere, zweite Generation, lässt sich am ehesten mit Joseph Murphy (1898-1981) in Verbindung bringen, der durch zahlreiche Publikationen insbesondere in den 1960er-Jahren einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangte. Insbesondere war er es, auf den sich die deutschsprachigen Ableger des "Neugeist" (v. a. in Deutschland) seit den 1970er-Jahren beriefen. Im Unterschied zur ersten Generation des New Thought gibt es bei Murphy bereits die erwähnte, für das neuere "positive Denken" typische Fokusverschiebung weg von Philosophie und Metaphysik im engeren Sinne hin zur Konzentration auf einige wenige Postulate, die immer wieder wiederholt werden. Diese "Verflachung" des theoretischen Kerns wird bei Murphy, so wie bei keinem anderen "Neugeist"-Autor, zusätzlich dadurch "kompensiert", dass es zu einer exzessiven Schilderung praktischer Beispiele kommt, die den Erfolg seiner Methode belegen sollen. Selbstverständlich können diese Beispiele auch angezweifelt werden. Für uns aber ist wichtig, dass Murphy mit dieser theoretischen "Verengung" und der zunehmenden Schilderung von Praxisbeispielen in gewisser Hinsicht die Grenze zwischen erster und zweiter Generation des New Thought darstellt. Und als wesentlichster Vertreter der zweiten Generation bildet er gleichzeitig das Bindeglied bzw. den Übergang zum neueren "positiven Denken", wie wir es unter Punkt 2) geschildert haben und wie man es etwa mit den 1980er-Jahren beginnen lassen kann.
Bei den Vertretern der ersten Generation des New Thought stehen demgegenüber durchaus "theoretische" Abhandlungen im Zentrum, die auch für "europäisch" geschulte Philosophen interessant sein können. Zwar geht es den frühen "Neugeist"-Autoren nicht so sehr um "abstraktes" Erkenntnisinteresse, sondern, wie für den amerikanischen Pragmatismus typisch, um die praktische Nützlichkeit diverser Konzeptionen für das konkrete Leben, aber gerade darin besteht für viele der besondere "Charme" bzw. die Anziehungskraft dieser Schriftsteller. Man könnte deren Philosophie, die keine "strenge" Philosophie im akademischen Sinne darstellt, am ehesten als "spirituelle Lebensphilosophie" bezeichnen. Wir wollen uns in dieser Abhandlung mit dieser Art von "Lebensphilosophie" auseinandersetzen. Es ist dabei dem Format einer solchen Abhandlung geschuldet, dass wir uns lediglich einem Exponenten etwas näher zuwenden können, und wir entscheiden uns dabei für Ralph Waldo Trine (1866-1958). Trine hat es, wie Murphy nach ihm, durch eine Reihe sehr erfolgreicher Bücher zu einer gewissen Popularität gebracht. Neben einigen anderen Autoren wäre in diesem Zusammenhang vor allem noch Prentice Mulford (1834-1891) zu nennen.
Die Ursprünge des "positiven Denkens" liegen beim New Thought der "ersten Generation". Dessen Konzepte sind weder "streng" philosophisch noch "streng" psychologisch, sondern können als "spirituelle Lebensphilosophie" mit pragmatischem Ansatz bezeichnet werden.
4) Fragt man sich nun, worauf sich die Proponenten der ersten Generation des New Thought ihrerseits beziehen, so landet man beim amerikanischen Transzendentalismus rund um den großen amerikanischen Dichter und Denker Ralph Waldo Emerson (1803-1882). Und hier wird es endgültig auch für akademisch geschulte Philosophen spannend. Denn der Transzendentalismus Emersons, obgleich nicht zu verwechseln mit der Transzendentalphilosophie Kants, knüpfte immerhin indirekt an die europäische Philosophie an, etwa an die Romantik oder den Deutschen Idealismus (v. a. Schelling'scher Prägung), auch wenn er die entsprechenden Ideen mit östlichen Naturanschauungen vermengte. Die Stoßrichtung des Transzendentalismus war tendenziell antimaterialistisch und antirationalistisch. Er stellte in gewisser Weise das amerikanische Pendant zur frühen europäischen "Fortschritts"-Kritik dar. Auch stellte er dem Dogmatismus der Religionen, die eher einengend denn befreiend wirken, eine optimistische Weltsicht gegenüber, in der Gott mit der Natur und dem Menschen in Einklang steht (Pan- bzw. Panentheismus). Der Transzendentalismus trat für eine freie, selbstverantwortliche und der Natur zugewandte Lebensführung ein. Berühmt geworden ist das 1854 erschienene Werk des im besten Sinne des Wortes verstandenen amerikanischen "Anarchisten" Henry David Thoreau (1817-1862) mit dem Titel "Walden oder Leben in den Wäldern", das ebenfalls dem Umkreis der "Tranzendentalisten" entstammt.
Will man in der europäischen Philosophiegeschichte selbst im entferntesten Sinne Vorläufer des "positiven Denkens" ausmachen, so muss man per se alle Subjektphilosophie nennen, nämlich hinsichtlich des von ihr ausgehenden Impulses zur Selbstbemächtigung und der Befreiung aus überkommenen Zwängen. Dann aber vor allem deren monistische Überwindung, insbesondere im "objektiven Idealismus" Schellings oder im Goethe'schen Pantheismus. Zudem müssen die naturbezogenen romantischen Philosophien genannt werden, die sich gegen die Kälte der Aufklärungsrationalität richteten (obgleich auch das "positive Denken" ratio- bzw. logos-zentriert ist), sowie alle übrigen pan- bzw. panentheistischen, gegen die theistische Trennung von "Gott" und "Welt" bzw. "Natur" gerichteten Gottesbegriffe (frühe Einflüsse wären etwa Nikolaus von Kues oder Giordano Bruno). Und letztlich dürfen die Lebensphilosophie und die Existenzphilosophie (bzw. der Existenzialismus) nicht unerwähnt bleiben, insofern es dem "positiven Denken" stets mehr um Praktisches geht denn um reines Erkenntnisstreben.
Die historische Entwicklungslinie des "positiven Denkens" führt über die zweite zur ersten Generation des New Thought zurück, und von dieser zum Transzendentalismus Emersons, der seinerseits vom Deutschen Idealismus beeinflusst wurde.
Nachdem wir somit die groben historischen Linien gezogen haben und in der Lage sind, das "positive Denken" geistesgeschichtlich zu verorten, müssen zwei weitere thematische Querbezüge hergestellt werden, ohne die eine adäquate Einordnung des Phänomens des "positiven Denkens" nicht möglich scheint. Der erste Exkurs betrifft die Frage, wo wir uns im Rahmen einer solchen Auseinandersetzung mit dem New Thought eigentlich in gesellschaftstheoretischer Hinsicht befinden. Der zweite betrifft die im Zusammenhang mit dem Thema "positives Denken" notwendige Differenzierung der Sphäre des "Seelischen"/"Geistigen"/"Psychischen", wie es für jede nicht-materialistische Weltsicht und Herangehensweise unerlässlich ist. In unserem Kulturkreis ist uns diese Differenzierung (insbesondere im Bereich des "Psychischen") aus der Psychoanalyse Sigmund Freuds bekannt.
1) Eine Beschäftigung mit dem Thema "positives Denken" bzw. dem aus dem Transzendentalismus stammenden New Thought kann nicht nur für den Einzelnen, das Individuum, interessant sein, weil sie helfen kann, eine positivere Lebenseinstellung zu gewinnen, sondern sie hat auch gesellschaftstheoretische Implikationen: Jede Gesellschaft oder Zivilisationsform lässt sich durch fünf "Grundverhältnisse" definieren, mit denen sie von anderen Gesellschaften oder Zivilisationsformen unterschieden werden kann. Zu diesen Verhältnissen zählen das politische Verhältnis, das Geschlechterverhältnis, das Naturverhältnis (inkl. Ökonomie und Technik), das Generationenverhältnis und das Transzendenzverhältnis. Eine Beschäftigung mit "spirituellen" Themen wie etwa dem "positiven Denken" tangiert in gewisser Weise alle diese Verhältnisse, ganz besonders aber das Natur- und das Transzendenzverhältnis. Während das Transzendenzverhältnis einer Gesellschaft Auskunft darüber gibt, in welcher Beziehung die Gesellschaftsmitglieder zum "Göttlichen" stehen, legt das Naturverhältnis fest, wie sich vor diesem Hintergrund der Naturumgang dieser Gesellschaft gestaltet. Es liegt auf der Hand, dass der Naturumgang bspw. einer Gesellschaft, für die die Natur selbst als "göttlich" gilt (wie z. B. in vielen indigenen Gesellschaften), ein ganz anderer sein muss als der Naturumgang einer Gesellschaft, für die die Natur geradezu das Gegenteil des "Göttlichen" darstellt, wodurch sie oft genug einer Manipulationspraxis preisgegeben wird, wie wir sie in zugespitzter Form im Kapitalismus erleben. Während die neuzeitlich-moderne, kapitalistische Gesellschaft bzw. Zivilisationsform durchaus mit tradierten, theistischen Religionen (als "Überbauphänomenen") einhergehen kann, ja sogar als deren praktische Seite gelten muss, steht ihr, insofern sie sich selbst als "rein säkular" begreift, die naturwissenschaftliche Weltsicht vor - und mit dieser einhergehend der "Materialismus" sowie ein ausgeprägtes "maschinenlogisches" Trennungsdenken, das sich auf der praktischen Ebene im Versuch äußert, die als "tote Materie" begriffene Natur in etwas technisch gemachtes "Besseres" umzuwandeln. All diese Phänomene der "Megamaschine" (L. Mumford) sind Teil der weltlichen "Religion" unserer Zeit, die unter den Schlagworten "Fortschritt", "Modernisierung" oder "Rationalisierung" auftritt.
Wenn wir uns mit dem New Thought Movement auseinandersetzen, so befinden wir uns in einer Tradition, die dieser Gestaltungsbewegung (wenn auch nicht in allen Punkten) kritisch bis ablehnend gegenübersteht. Dennoch handelt es sich, das soll ausdrücklich betont werden, beim New Thought bei weitem nicht um die erste und schon gar nicht um die ausschließliche Anlaufstelle, wenn es um eine Kritik am "Materialismus" geht. Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass gerade Ralph Waldo Trine durchaus an technischen und ökonomischen Fortschritt glaubte, wie dies etwa in seinen Gesprächen mit Henry Ford zum Ausdruck kommt. Dennoch können wir festhalten, dass sich unsere Auseinandersetzung mit der "Neugeistlehre" im Wesentlichen innerhalb der globalen Konfrontationslinie zwischen materialistischer und idealistisch-spiritualistischer Weltanschauung abspielt: Letzterer zufolge bräuchte es gegen die Trennungsphänomene der modernen Zivilisation einen neuen, verbindenden "Monismus", ein "Einheitsdenken", eine neue Metaphysik, eine neue, "echte" Naturwissenschaft und letztlich eine Gesellschaft mit alteritären, nicht-antagonistischen Gesellschaftsverhältnissen. Eine Beschäftigung mit dem New Thought kann vor diesem Hintergrund auch aus "streng" philosophischer Perspektive interessant sein, weil in ihm, allerdings auf eine sehr amerikanisch-pragmatische Weise, Dinge zum Ausdruck gebracht werden, die auch die von kontinentaleuropäischem Denken geprägte "Fortschritts"-Kritik für notwendig erachtet. Was dem "Neugeist" aus dieser Perspektive allerdings fehlt, ist eine wirklich fundierte Ökonomie- und Technikkritik, wie sie erst im Zuge der Industrialisierung und den von ihr produzierten sozialen Verwerfungen - in Europa etwas verspätet in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - einsetzte. Im New Thought dominiert, wenn man so will, die individuelle ("spirituelle") "Befreiung" über "harte", exoterische Gesellschaftstheorie.
Was dem "positiven Denken" fehlt, ist eine fundierte Ökonomie- und Technikkritik. Im New Thought dominiert individuelle ("spirituelle") "Befreiung" über "harte", exoterische Gesellschaftstheorie.
Nicht thematisiert werden sollen die vielen unterschiedlichen Ausprägungsformen "neugeistigen" Denkens. Insbesondere ist zu betonen, dass dieses über weite Strecken selbst eine stark christliche Prägung aufweist, auch wenn die Heiligen Schriften des Christentums anders interpretiert werden als es die dogmatische Theologie tut (ein wichtiger Einfluss ging für das New Thought Movement vom Unitarismus aus). Insbesondere jene Organisationen und Strömungen, die weniger kritisch-philosophisch ausgerichtet sind, sondern eine stark religiöse Schlagseite aufweisen, scheinen für unsere Zwecke kaum Anknüpfungspunkte zu bieten. Soviel aber sei gesagt: Wenn von der etablierten Kirche "neugeistig" geprägten Organisationen mit dem Verdikt des "Sektiererischen" begegnet wird, so darf in aller Gelassenheit erwidert werden, dass es sich insbesondere bei der Katholischen Kirche aus einer dezidiert vernunftorientiert-philosophischen Warte aus betrachtet um die wohl "skurrilste", wenn auch wirkungsgeschichtlich einflussreichste "Sekte" handelt, und es ist der Unfähigkeit derselben geschuldet, eine nicht-ängstigende Form von Spiritualität bzw. Theologie anzubieten (vgl. zu diesem Thema insbesondere E. Drewermann), die in der oben geschilderten, gesteigerten Nachfrage nach alternativen Religiositätsformen bzw. spirituellen Orientierungsangeboten ihren Ausdruck findet.
Wenn das New Thought Movement die theistischen Dogmen "zerstört", "zerstört" es die metaphysische Legitimität der kapitalistischen Produktionsweise.
Insgesamt gilt es eine Verbindung herzustellen zwischen dem Theismus und seiner auf Angst basierenden "Trennungsideologie" und der neuzeitlichen "Hybris" der materialistisch-naturwissenschaftlichen Weltbemächtigung. Die in ihren naturzerstörerischen Auswirkungen mit dem Theismus wesensverwandte "Technik-" und "Wissenschaftsreligion" suggeriert dem christlich "präkonditionierten" Menschen, dessen Ängsten sei nicht durch eine neue Form von "Metaphysik" zu begegnen, sondern ausschließlich im Rahmen technisch-naturwissenschaftlichen bzw. ökonomischen "Fortschritts". Durch diese säkulare "Soteriologie" werden vorhandene Ängste aber lediglich verschoben bzw. verstärkt, während eine nicht-theistische Form von "Spiritualität" helfen könnte, tatsächlich und gewissermaßen "bedingungslos" (ohne den Umweg über die "Technik") frei zu sein. Sie würde den Menschen in die Lage versetzen, sich von beiden destruktiven "Ideologien" lösen zu können, ohne in ein halt- und orientierungsloses "Vakuum" zu stürzen - vom Theismus überkommener Religionen und vom Kapitalismus und seinen Institutionen. Im Zuge einer solchen "Neuorientierung" würde die "absolute Transzendenz", die zu einer Entsakralisierung der Natur führt, von einer (Wieder)Vergöttlichung der "Immanenz" abgelöst; der Naturzerstörung würde die Naturverehrung folgen; und da mit der Natur selbst auch der Mensch (wieder) "göttlich" würde (und zwar als solcher, nicht erst in einer durch biopolitische oder sonstige "Verbesserungen" zu schaffenden "Version 2.0"), würde der voranschreitenden "Dehumanisierung" des Einzelnen und der Gesellschaft eine echte Alternative gegenübergestellt.
2) Der zweite Exkurs betrifft die metaphysische "Urfrage" der abendländischen Philosophiegeschichte: die Materie-Geist-Problematik bzw. die Auseinandersetzungen zwischen Materialismus/Realismus und Idealismus. Im Unterschied zum Materialismus, für den die Welt letztlich aus materiellen Teilen (oder "Teilchen") besteht (naturwissenschaftliche Weltanschauung), besteht für den (Real)Idealismus (vom reinen Idealismus wollen wir vorerst absehen), insbesondere für die "Spiritualisten" des New Thought, die Welt nicht nur aus Materie, sondern es wird darüber hinaus die Realität eines "Geistigen", ein "geistiges" Prinzip, postuliert. Innerhalb dieser Sphäre des "Geistigen" werden in allen idealistischen Strömungen weitere Unterscheidungen vorgenommen und Strukturelemente zur Abhebung gebracht. Erkenntnistheoretischer Ausgangspunkt ist stets das menschliche, individuelle Bewusstsein, um von diesem aus alles Weitere zu entwickeln. Nicht nur in individualpsychologischen Ansätzen wird dabei die These vertreten, dass innerhalb des "Geistigen"/"Seelischen"/"Psychischen" über das "Bewusstsein" (das "Ich") bzw. das in ihm Gegebene hinaus auch etwas zunächst unbewusst Bleibendes als real angenommen werden müsse, das unser Verhalten bzw. Handeln weit mehr bestimmt als zunächst angenommen. An dieser "innerpsychischen" "Grenze" wird gewissermaßen das Tor zu allen metaphysischen Spekulationen weit aufgestoßen.
Was die uns vertraute Differenzierung des "Psychischen" anbelangt, so ist zunächst auf das "dreigliedrige" Schema Freuds zu verweisen, der neben dem "Ich" (dem individuellen Bewusstsein) das "Es" und das "Über-Ich" postuliert, die auch über das Individuum hinaus Wirksamkeit entfalten. Es handelt sich dabei um die am weitesten verbreitete und am gründlichsten erforschte Differenzierung des "psychischen Apparats". Die Bedeutung, die Freud den unterschiedlichen Instanzen zuweist, lässt sich im Hinblick auf seine Kulturtheorie verkürzt in etwa so beschreiben: Der einzelne Mensch (genauso wie die gesamte Gattung in ihrer vergesellschafteten Form) wird von zunächst unbewusst bleibenden, naturhaft vorhandenen "Triebanlagen" beeinflusst, die dem "Es" zugeschrieben werden. Da diese "Kraftpotentiale" bei Freud nicht nur förderlich wirken im Hinblick auf ein friedliches Zusammenleben, sondern in ihnen auch destruktive Elemente zum Ausdruck kommen (Aggressionsneigungen), musste sich Freud zufolge im Prozess der Kulturentwicklung ein Normengebilde entwickeln, das sich im "psychischen Apparat" als "Über-Ich" (als eine Art "Gewissen") bemerkbar macht. Dieses "Über-Ich" wirkt mit einschränkenden Mäßigungspostulaten den destruktiven "Es"-Anlagen "regulierend" entgegen, wobei sich das "Ich" mit der Aufgabe konfrontiert sieht, sich zwischen "Es" und "Über-Ich" zurechtzufinden.
Nicht in allen "bewusstseinsmetaphysischen" Konzeptionen findet sich dieses Schema. In einer frühen, "neugeistigen" Ausprägung wird dem Bewusstsein schlicht das "Unterbewusstsein" gegenübergestellt. Dabei wird im Wesentlichen die These vertreten, dass sich die Sphäre des "Unterbewussten", das sich über das individuelle "Unterbewusstsein" in ein allgemeines erweitert (vgl. insbesondere die Spekulationen des Deutschen Idealismus), über bewusste Gedankeninhalte mit "Negativem" oder mit "Positivem" gleichsam "anreichert", je nachdem, welche Gedanken (positive oder negative) im individuellen Bewusstsein überwiegend vorherrschen. Das "Unterbewusstsein", das auch in der "neugeistigen" Bewusstseinsspekulation das menschliche Verhalten weit mehr prägt als das Bewusstsein selbst, wirkt seinerseits auf dieses zurück - und in einer "extremen" Position auf die gesamte materielle "Außenwelt", diese bestimmend und gestaltend.
Das "positive Denken" transzendiert das individuelle Unbewusste in ein "allgemeines Unterbewusstsein". Diese Sphäre, an der jeder teilhat, rechtfertigt über beobachtende Erkenntnis hinaus "Introspektion".
Die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zur psychoanalytischen Konzeption bestehen vereinfacht gesprochen darin, dass die in der "neugeistigen" Spielart beschriebenen Einwirkungen des "Unterbewusstseins" auf das Bewusstsein in etwa den Wirkungen entsprechen, die in der Psychoanalyse dem "Über-Ich" zugeschrieben werden (und die weitgehend als religiös "kontaminiert" gelten). Demgegenüber wird die Existenz des psychoanalytischen "Es", insbesondere in seiner "schädlich" wirkenden Form (destruktiver Trieb, "Todestrieb"), insofern ihm eine eigene ontologische Realität zukommen soll, negiert. Negative Einflüsse sind aus "neugeistiger" Sicht nicht in der natürlichen (bzw. "göttlichen") Ordnung angelegt, sondern gründen in der "Aufladung" des (individuellen und kollektiven) "Unterbewusstseins" durch bewusste "negative" Gedanken. Damit wird in der "neugeistigen" Spekulation die "Freiheit" des Menschen gewissermaßen gewahrt und vor der Freud'schen Fremdbestimmtheit, die oft als "Kränkung" des rationalistisch orientierten Humanismus diskutiert wurde, "gerettet". Die volle Eigenverantwortung für das persönliche Wohl verbleibt somit beim "autonomen Subjekt", dessen Fatum nicht geschmälert werden kann durch den Verweis auf nicht beeinflussbare "Es"-hafte Heteronomie.
Im "Neugeist" erscheint der Mensch als "autonomes Subjekt", das nicht durch ein unabhängiges "Triebgeschehen" negativer Art fremdbestimmt ist.
"Neugeistige" Autoren glauben hierfür, wenn man will, zu sehr an die "Kraft des Positiven", dem sie eine "optimistische Metaphysik" unterlegen. Dabei sind sie weit spekulativer als Freud, der nicht nur "enger" am Individuum "gearbeitet" und auf Metaphysik im engeren Sinne verzichtet hat, sondern der als Atheist (und Pessimist) wenig anfangen konnte mit den ausgleichenden Wirkungen einer metaphysischen Eingebundenheit in ein göttliches, harmonisches Ganzes. Freud musste deshalb auch zu einer gänzlich anderen Einschätzung der "Religion" kommen, die in der psychoanalytischen Weltsicht unter keinen Umständen als Ausweg aus dem "menschlichen Dilemma" in Betracht kommt. Vielmehr wird sie als Resultat einer "infantilen Hilflosigkeit" sowie einer dadurch geweckten "Vatersehnsucht" angesichts der Angst vor der Übermacht des Schicksals betrachtet. Allen "religiösen" Spekulationen, insbesondere auch der "neugeistigen", würde Freud wohl den Charakter eines "Tröstungsversuchs" attestieren.
Der entscheidende Punkt ist aber der: Freud hatte in seiner Einschätzung des "Religiösen" lediglich die theistische Religion vor Augen, gegen die sich aus denselben Gründen wie Freud selbst auch die "Neugeist"-Autoren wenden. Wenn Freud etwa die Vorstellung als "infantil" und "wirklichkeitsfremd" charakterisiert, wonach es einen jenseitigen "Vater" gäbe, der durch Bitten erweicht und durch Reue beschwichtigt werden könne, so schlägt er damit in dieselbe Kerbe wie das New Thought Movement. Denn die vom "Neugeist" postulierte "Religion" ist gerade keine theistische, sondern soll von theistischen Dogmen gerade befreien. Diese werden ihrerseits als ängstigend bzw., wenn man so will, als an der Ausbildung eines religiösen "Über-Ichs" beteiligt betrachtet - etwa wenn der strafende "Gott" bei "sündhaften" Verfehlungen mit der "Hölle" droht. Nicht nur Freud, sondern auch die Schriftsteller des New Thought würden darin den Versuch orten, den Wert des Lebens herabzudrücken und die "Intelligenz" einzuschüchtern, um die Menschen - aus welchen Gründen immer - in einem psychischen Infantilismus zu fixieren und in einen "Massenwahn" einzubeziehen (durch den bei Freud vielen zumindest die inviduelle Neurose erspart bleibt).
Während für Freud die Religion keinen (absoluten) Ausweg aus dem "menschlichen Dilemma" bieten kann, glaubt der "Neugeist" an eine andere Form von "Religion".
Zwar argumeniert bereits Freud im Rahmen seiner Kulturtheorie nicht nur onto-, sondern auch phylogentisch, d. h. nicht nur individual-, sondern auch gattungsgeschichtlich, dennoch kommt der holistische, phylogentische Ansatz erst umfassend in der "Tiefenpsychologie" seiner Schüler (v. a. C. G. Jung) zur Entfaltung, in dem "kollektive Prägungen" einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Das "kollektive Unterbewusstsein" des "tiefenpsychologischen" Ansatzes ähnelt schon sehr den Vorstellungen der Metphysiker des "positiven Denkens", nämlich hinsichtlich der Annahme, dass im Bereich des "Geistigen" eine gewisse Art von "Allverbundenheit" über das Individuelle hinaus vorherrsche. Dem "Neugeist" zufolge prägt jeder Gedanke diese Sphäre nachhaltig. Diese Annahme bildet die metaphysische Basis für alle "neugeisten" Annahmen betreffend die Möglichkeit rein gedanklicher Einflussnahme auf die materielle "Außenwelt" bzw. "esoterische" Erkenntnis im Sinne von "Introspektion". Daraus lässt sich auch schlussfolgern, zumal unter der Prämisse, dass der "Gedanke" der "Realität" vorausgeht und diese bestimmt (hier bestimmt also das "Bewusstsein" das "Sein", nicht wie im historischen Materialismus Marx' das "Sein" das "Bewusstsein"), dass jeder Einzelne durch "positives Denken", so radikal es klingen mag, einen Beitrag nicht nur für sein eigenes Wohlergehen, sondern zur "Verbesserung der Welt" schlechthin leisten kann. Ein Zusammenschluss der ökonomisch Unterprivilegierten zu einer "Klasse" als Voraussetzung dafür, um als historisches "Subjekt" erst gesellschaftsverändernde Wirksamkeit entfalten zu können, ist, um in der Marx'schen Terminologie zu bleiben, aus dieser Sicht nicht notwendig.
Das "kollektive Unterbewusstsein" des tiefenpsychologischen Ansatzes ähnelt den metaphysischen Vorstellung der "Neugeist"-Autoren.
Wir verfügen nun über die Voraussetzungen, um uns abschließend exemplarisch Ralph Waldo Trine als einem der wesentlichsten Vertreter des frühen "Neugeist" zuzuwenden. Wir werden uns dabei weniger auf sein Hauptwerk "In Harmonie mit dem Unendlichen" konzentrieren, sondern greifen auf seine kleinere Schrift "Das Größte, was wir kennen" zurück.
Im Vorwort zu "Das Größte, was wir kennen" charakterisiert Max Christlieb (1862-1914), der sich um die Übertragung der wichtigsten "Neugeist"-Autoren ins Deutsche verdient gemacht hat, die "Amerikaner" als pragmatisch orientierte Idealisten großen Stils, die aus dem "steifen Glauben des Wortchristentums" etwas Brauchbares, ein "Tatchristentum für den Alltag jedes Einzelnen" gemacht hätten, und Ralph Waldo Trine als einen "Abkommen vom Baume Emersons" (Ralph Waldo Emerson, Anm. M. B.), der seinerseits der höchste Ausdruck des amerikanischen Idealismus gewesen sei. In dessen Worten sei viel deutscher, v. a. Goethe'scher Einschlag spürbar, und es handle sich bei seiner Philosophie um eine typisch amerikanische Mischung aus Realismus und Idealismus. Er schere sich wenig um literarische, philosophische oder religiöse Traditionen, sondern gehe immer vom Einfachsten und Nächstliegenden aus, um von dort aus das metaphysische Wesen des Vorgefundenen zu entwickeln. Dasselbe könne auch von Trine behauptet werden. Diesen kennzeichnet Christlieb als einen Pantheisten, der vollen Ernst gemacht habe mit der "Erkenntnis der Einheit des menschlichen Geistes mit dem göttlichen", weshalb er auch der indischen Gedankenwelt nahegestanden sei. Für die nüchternen, rationalen Deutschen, fährt er fort, sei es oft befremdlich, wie Trine ins Phantastische abgleite, die Grenzen zum "Okkultismus" und anderen Erscheinungen seien oft fließend. Trine aber sei sich sicher gewesen, dass dem "Neuen Gedanken", wie man seinen Pantheismus in Amerika nenne, die Zukunft gehöre.
Trine geht in "Das Größte, was wir kennen" systematisch vor. Seine Sprache ist stets sehr einfach gehalten und verständlich. Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet das "Leben" als unmittelbar Gegenwärtiges. Bereits in dieser Ausgangnahme kündigt sich ein radikaler Konfrontationskurs zur theologischen Tradition an. Denn Trine will nicht von überkommenen Dogmen ausgehen, sondern einen unvorbelasteten, philosophischen Standpunkt einnehmen. Dieser erscheint ihm nicht nur sicherer und unbestrittener, sondern auch ehrlicher als der theologische. Wenn er davon spricht, sich als Ausgangspunkt für alle weiteren Überlegungen für die "reine Vernunft" entscheiden zu wollen, so heißt das nicht, obwohl der Begriff an Descartes und Kant erinnert, dass sein Denken konsequenterweise in einen "Cartesianismus" mündet. Denn während die Natur bei Descartes "tot" ist (res extensa), ist sie bei Trine lebendig, ja die ganze Natur ist in letzter Konsequenz mit "Gott" identisch. Trine geht es schlicht darum, wie er sagt, mit "Herz und Sinn" nach der "Wahrheit" zu trachten und dabei alle theologische Vorbelastung a priori abzustreifen.
Trine verwirft alle theologischen Dogmen (credo quia absurdum) und geht von der "reinen Vernunft" aus. Seine Herangehensweise erinnert an das Pathos der subjektphilosophischen "Revolution" bei Descartes.
Das, was Trine zufolge das individuelle Leben, das konkrete Dasein, bestimmt, nennt er "Sein". Dieses fasst er traditionell-metaphysisch als "Lebensprinzip", das im konkreten Dasein aller Dinge in Erscheinung trete. Er versteht unter "Sein" also nicht etwa die "Seinsweisen des Seienden" wie Heidegger, und auch nicht die reine Tatsache des Existierens, und auch nicht das Seiende insgesamt, sondern ein als Prinzip angesetztes "Absolutes" sowie dessen "Kraft", mit der es sich in der Welt entfaltet. Zu Ende gedacht deutet sich bereits hier ein Panenthesimus an, innerhalb dessen alles "Geschaffene" bzw. "Hervorgebrachte" letztlich nichts anderes darstellen kann als die "raumzeitliche", materielle Seite des "vorweltlichen" "Gottes". Trine scheint sich dabei der Tatsache gar nicht bewusst gewesen zu sein, jedenfalls gibt es hierfür keine Anhaltspunkte, wie sehr er damit an einen der wohl größten Philosophen des Abendlandes, Giordano Bruno (1548-1600), anknüpft. Einige Sätze in "Das Größte, was wir kennen" ähneln Passagen in Brunos "De la causa, principio et uno" beinahe bis aufs Wort.
Im Panentheismus Trines geht letztlich alles aus einer "Quelle" hervor und bleibt auch nach dem Hervorgang mit dieser verbunden. Damit ist in letzter Konsequenz nicht nur gegen das "Trennungsdenken" der beinahe gesamten abendländischen Philosophiegeschichte und insbesondere gegen die creatio ex nihilo des Theismus gesprochen, sondern gleichzeitig, vermittelt über strukturale Analogien, gegen den neuzeitlichen Materialismus, wie er v. a. in der modernen Wissenschaft, Ökonomie und Technik seine durchschlagende Realgestalt annimmt. Denn während im Materialismus die als "Maschine" imaginierte Natur aus getrennten "Teilen" besteht, ist das, was Trine das alles bestimmende "Sein" nennt, ein Einiges, kein Vielfaches. Obwohl die hervorgebrachte Welt vielfältig in Erscheinung tritt, bleibt über die Sphäre des "Geistigen"/"Seelischen" (vgl. etwa Brunos "Weltseele" oder Emersons "Oversoul") letztlich alles mit allem verbunden. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass seit Jahrzehnten auch die post-newton'sche Physik (Relativitätstheorie, Quantenphysik) selbst an die Grenzen des Materialismus stößt und sich mit einigen ihrer Theorien von der "subatomaren" Welt dieser metaphysischen Vorstellung von "Allverbundenheit" nähert (neben F. Capra, R. Sheldrake oder W. Heisenberg kann insbesondere auf die "implizite Ordnung" von D. Bohm verwiesen werden). Trine bleibt in seiner Sprache selbstverständlich metaphysisch bzw. "spirituell-religiös".
Trine geht auf Distanz sowohl zur (alten) Religion als auch zur (Natur)Wissenschaft, die im common sense als Gegensätze gelten. Von einer "höheren" Warte aus bilden sie die zwei Seiten derselben Medaille.
Die Frage, der sich alle "Pantheisten" zu stellen haben, lautet: Wenn "Gott" alles ist und deshalb alles "Gott" ist, wie kommt dann das "Übel" in die Welt? Wie "löst" Trine die "Theodizee"-Frage? Hier hält er bedingungslos an der bereits im Exkurs zur Psychoanalyse angesprochenen menschlichen "Freiheit" fest. Trine zufolge hat ausschließlich der Mensch Anteil am "Übel" und ist dessen einziger "Urheber". Die Wurzel allen "Übels" sieht er in der im Denken vollzogenen Trennung vom göttlichen "Sein". Diese Annahme ist insofern "folgerichtig", als Trine davon ausgeht, dass unter allen Spezies ausschließlich der Mensch über das Denken und damit über die in diesem angelegte spezifische "Freiheit" (zur selbstverschuldeten Unfreiheit) verfügt. Den Kern des "menschlichen Dilemmas" sieht er darin, dass die "Wahrheit", wenn sich das Göttliche als Mensch entfalte, in diesem (seinem Denken) nicht von Anfang an und unmittelbar gegenwärtig sei. Zunächst sei der Mensch, vermittelt über die leiblichen Sinne, von der Welt des Materiellen "gefangen". Er neige dazu, nur im "materiellen Dasein" sein "wirkliches Leben" zu sehen, suche "Freude" und "Glück" lediglich auf diesem Gebiet und verletze dabei die "höheren Gesetze". Es ließen sich in diesem Zusammenhang interessante Bezüge zur "Zerstreuungskritik" der Existenzphilosophie, etwa bei Kierkegaard oder Heidegger, herstellen.
Erst allmählich, im Laufe seiner Entwicklung, sei er in der Lage, sich von der Welt des Materiellen zu lösen und durch eine Veränderung im Denken (nicht selten ausgelöst durch "Leid") zur "wahren Selbsterkenntnis" seines "göttlichen Wesens" zu gelangen. Dass der Mensch bis zu dieser "Wiedervereinigung" mit Furcht und Sorge zu kämpfen habe und Opfer von Krankheiten werde, gründe, schreibt Trine, darin, dass er, außer in seltenen Augenblicken eben nicht in der "bewussten Erkenntnis" dieses seines "wahren Wesens" und "wahren Selbst" lebe. Das "Positive" des "Leids" bestehe, sagt Trine, darin, dass der Mensch durch dieses zur "Umkehr" angehalten werde. - Wenn heute, im "Wissenschaftszeitalter", die Tendenz vorherrscht, allen "Übeln" und "Problemen" der Welt gleichsam über den Umweg einer "oberflächlich" bleibenden "materiellen Intervention" zu begegnen, so bestünde Trine zufolge ein nicht minder erfolgreicher und unmittelbarerer Weg darin, diese "Probleme", so befremdlich es für manche zunächst klingen mag, durch eine "Rücknahme" der beschriebenen denkerischen Trennung vom "Sein" aus der Welt zu schaffen. Bei aller möglichen "Irritation" über die "Banalität" dieser These sollte doch die Tatsache nicht vergessen werden, dass hinsichtlich der Herangehensweise an mittlerweile als "psychosomatisch" anerkannte "Probleme" "nicht-materialistischen" Methoden etwa auch von "Schulmedizinern" nicht unerhebliche Erfolge attestiert werden müssen. Gleichwohl gehen die "Versprechungen" der "Neugeist"-Autoren, von "über-individuellen" Einflussnahmemöglichkeiten ganz abgesehen, weit über die Konzessionen bspw. von Psychoanalytikern, Psychotherapeuten, existenzphilosophischen Lebensberatern oder "Alternativmedizinern" hinaus.
Das "positive Denken" glaubt, durch die "Kraft der Gedanken" Gesundheit fördern und die "äußeren" Lebensverhältnisse beeinflussen zu können.
Für alle "Neugeist"-Autoren spielt das Denken die entscheidende Rolle. Befindlichkeiten oder Gefühle gelten als "Epiphänomene" "richtigen" oder "falschen" Denkens und verfügen, anders etwa als bei Heidegger, in erkenntnistheoretischen Zusammenhängen über eine untergeordnete Bedeutung. Hinsichtlich der praktischen Auswirkungen lautet das Credo: "Was Du denkst, das wirst Du!" Die zu erwartenden Resultate "richtigen" Denkens können dabei, glaubt man den Schriftstellern des New Thought, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Auch Trine betont in diesem Sinne, dass jeder, der sich durch ein "anderes Denken" der "Einheit mit dem Göttlichen" gewahr werde, letztlich nichts Geringeres erwarten dürfe als ein "neue Welt".
Darunter mag zunächst ein individueller spiritueller Zustand, etwa im Sinne von "Ekstase", gemeint sein. Auch über dieses Momenthafte hinaus ist unter "Welt" zunächst eine individuelle "innere Welt" zu verstehen. Dennoch geht es dem New Thought Movement als "Bewegung" ohne Zweifel auch darum, eine möglichst große Anzahl von Menschen zu erreichen und damit gesamtgesellschaftliche Gestaltungskraft zu entfalten. Was dabei die Verfasstheit der "äußeren", materiellen Welt anbelangt, die durch diese Gestaltungskraft realisiert bzw. materialisiert werden soll, so folgt diese den Prämissen des "Neugeist" zufolge, wonach sich alles von "innen nach außen" entwickelt, der kollektiven "inneren Welt" notwendigerweise nach. Korrespondierende Vorstellungen finden sich lange vor dem Auftreten des "Neugeist" in diversen Emanationstheorien, wonach die Formen der materiellen Dinge, ehe sie konkret Gestalt annehmen, als Gedanken im "Geiste Gottes" präexistent sind. Da der Mensch im "neugeistigen" Panentheismus selbst am göttlichen Bewusstsein partizipiert, ist er in der Lage, auch im Hinblick auf die "Außenwelt" durch "Gedankenkräfte" materialisierende Einflüsse geltend zu machen.
Was die vom Menschen geprägte materielle Welt anbelangt, so scheint mir aus dem Pan(en)theismus des "Neugeist" keinesfalls eine andere ableitbar oder erstrebenswert zu sein als eine an der ursprünglichen Natur
orientierte (ähnlich dem Ideal des Transzendentalismus). Unter keinen Umständen kann die von Trine in Aussicht gestellte "neue Welt" mit dem technologisch betriebenen "Welt-Neuschöpfungs-Projekt"
der Moderne verwechselt werden. Denn Trine geht es nicht darum, durch Naturunterwerfung und ‑transformation einen
"Himmel auf Erden" im Sinne eines technischen "Schlaraffenlandes" zu schaffen,
sondern im Gegenteil, zur alten "Einheit mit der Natur" zurückzukehren, d. h. den ursprünglichen "Himmel" wiederzugewinnen, der in der "Nicht-Trennung" besteht. Das Denken Trines sowie des frühen New Thought hat so gesehen zunächst einmal nichts Technikfetischistisches,
nichts Futuristisches oder "Progressives". Dennoch hat sich die wesenhafte Naturfeindlichkeit der modernen Technik im "Neugeist" nie zu einer manifesten
Technikkritik ausgewachsen. Es dominierte von Beginn an der "Kampf"
gegen die herrschende Theologie, die den Menschen in einem falschen Bewusstsein
gehalten habe.
Der Transzendentalismus fordert eine an der Natur orientierte Lebensweise. Er lehnt die kapitalistische Umwandlung der Natur in Ware, Geld und Maschinerie ab.
Aus marxistisch-materialistischer Sicht, die ihrerseits "technikapologetisch" ist, handelt es sich bei diesem Kampf "Neugeist vs. traditionelle Theologie" gewissermaßen um einen zu vernachlässigen "Grabenkampf" im Bereich des gesellschaftlichen "Überbaus". Andererseits scheint die Selbstbeschränkung des "Neugeist" auf reine "Bewusstseinsbildung" aus seinen eigenen Prämissen heraus nur konsequent, wonach das "Bewusstsein" das "Sein" bestimme und somit die rechte "äußere" der rechten "inneren Welt" notwendig nachzufolgen habe. Berücksichtigt man, um innerhalb dieser hypothetischen Kausalitätszusammenhänge zu bleiben, die gattungsgeschichtlichen Prägungen des "kollektiven Unterbewusstseins", so dürfte es in der derzeitigen Phase menschheitsgeschichtlicher Entwicklung relativ ausweglos erscheinen, über diesen Weg genügend "geistige Kräfte" aufzubringen, um das über Jahrhunderte einseitig auf "Fortschritt" hin konditionierte "Unterbewusstsein" in Richtung auf "schnelle", d. h. nicht-evolutionäre, Gesellschaftsveränderung hin "umzuprogrammieren". Andererseits haben möglicherweise alle "Revolutionen" die Trägheit und retardierenden bzw. "sabotierenden" Einflüsse dieser Sphäre unterschätzt. "Positives Denken" könnte, um diesen spekulativen Gedankengang fortzusetzen, gewissermaßen als der "sanfte", individuell durchaus revolutionäre, gesamtgesellschaftlich betrachtet aber evolutionäre Weg der Weltveränderung begriffen werden.
Wenn Trine sich in diesem Sinne ganz auf das richtige "Bewusstsein" konzentriert, das er in Mitleidenschaft gezogen sieht durch die klassische Theologie, so opponiert er auf der Grundlage eines zutiefst positiven Menschenbildes vor allem gegen das Dogma der "Erbsünde", mit der die Kirche nicht nur die äußere Natur, sondern auch das Innere des Menschen degradiert habe. Trine lehnt alles "Gerede" vom "elenden Wurm", vom "armen Sünder", von "Tod und Grab" ab. Diese Lehre der "rohen" und "unvernünftigen" Theologie, wie er sich ausdrückt, sei falsch und gefährlich und habe verwerfliche Wirkungen ausgeübt. Sie habe den Himmel von der Erde weggenommen und die Erde mit Zweifel, Irrtum, Sünde und Verbrechen erfüllt. Die "alte" Theologie, darin würden wohl auch die Psychoanalytiker übereinstimmen, habe den Selbstwert des Menschen gemindert. Trine zufolge ist der Mensch allen theologischen Dogmen zum Trotz seinem Wesen nach "gut". Erst wenn er seine Einheit mit "Gott" (der "Natur") löse, komme das "Böse", kämen Zweifel, Irrtum, Sünde, Verbrechen, Leid und Verzweiflung ins Leben. Ein besonderes Spezifikum dieses Denkens besteht darin, dass dem "Bösen" (dem "Teufel" etc.) keine eigene ontologische Realität zukommt, sondern dass das "Böse" lediglich in der "Abwesenheit des Guten" besteht. Das "Böse" kommt hier sozusagen durch die "freie" Hybris in die Welt, durch eine denkerische "Sezession" vom "Guten". Selbst die "säkulare" Form des "Bösen", Freuds destruktiver "Trieb", könnte unter dieser Prämisse gewissermaßen als "angezüchtet", "kultiviert" gelten. Die "Kultur" selbst, durch die er gebändigt werden sollte, hätte ihn hervorgebracht.
Trine vertritt eine positive Anthropologie. Er lehnt den "strafenden Gott", das Dogma der "Erbsünde" und die Kirche als weltliche Institution ab.
Trines im Denken zu vollziehende "Wiedervereinigung" darf deshalb auch nicht missinterpretiert werden als eine Versöhnung im Sinne einer Beschwichtigung des Grimmes eines zornigen Gottes (diese Vorstellung nennt er "barbarisch"), es geht nicht darum, für irgendwelche "Erbsünden" zu büßen, sondern zu erkennen, dass man sich als Mensch entwickeln und zu echter "Weisheit" gelangen könne, oder, wie Trine es formuliert: zu erkennen, "dass es natürlich ist, dass der Adam-Mensch mit seiner Gedanken- und Handlungsfreiheit zuerst geboren werden muss und dass aus ihm der Christus-Mensch bewusst entsteht". Der gegen die "Irrlehre der Erbsünde" sich positionierende Mensch erkenne, "dass die jungen Katzen blind geboren werden, nicht weil ihre Eltern oder Großeltern gesündigt haben, sondern weil es für sie natürlich ist, so zur Welt zu kommen, und dass im Laufe der Zeit ihre Augen sich öffnen." (Das Größte, was wir kennen. S. 19)
Den Archetypus jenes Menschen, der von Anfang an in der lebendigen Verwirklichung der Einheit mit "Gott" gelebt habe, sieht Trine in der Person Jesu verkörpert. Dieser sei nicht auf die Welt gekommen, um die Rache eines zornigen Gottes auf sich zu nehmen, sondern den Weg zu zeigen zur Verwirklichung unserer Einheit mit dem Unendlichen, dem ewigen Leben. Damit wendet sich Trine von einem weiteren Dogma der herrschenden Theologie ab, nämlich der "verkehrten" Lehre von der "stellvertretenden Genugtuung", die, wie Trine sagt, in einer Gemeinschaft entstanden sei, in der man, ob mit Absicht oder nicht, Jesu Leben ganz grobsinnlich aufgefasst habe. Schon gar nicht, sagt Trine, wollte Jesus irgendeine äußere Einrichtung wie die Kirche begründen, sondern seine Absicht sei es gewesen, das "Reich Gottes" zu verwirklichen, wobei unter diesem das "Innere Licht" (Vernunftmetapher!) verstanden werden müsse, das in jedem leuchte. Trine zitiert Lukas 17, 21: "Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in Euch."
Nicht Jesus, sondern Paulus und seine Nachfolger seien der Meinung gewesen, es müsse ein irdisches Reich aufgerichtet werden. Die Kirche aber habe sich alsbald von den Lehren Jesu verabschiedet, was die langen und blutigen Verfolgungen im Altertum und Mittelalter bewiesen sowie das lange Verzeichnis der Verbrechen, die die Kirche nach wie vor begehe. Die Kirche könne nicht die Hüterin der "Wahrheit" sein. Denn wer in der "Wahrheit" lebe und ihr den obersten Platz in seinem Herzen einräume, verfolge überhaupt niemanden. Verfolgen müsse nur, wer auf unsicherem Fundament stehe und darauf ausgehe, Formen und Einrichtungen aufrecht zu erhalten, die ohne solches Bemühen zerfallen würden. Trine hat bereits vor mehr als 100 Jahren den Machtverlust der Kirche "prophezeit":
"Ebenso muss die Kirche von heute, wenn sie als eine wirkliche Macht in der Welt dastehen, ja wenn sie überhaupt bestehen will, zu der wirklichen lebendigen Wahrheit, wie sie Jesus gelebt und gelehrt hat, wieder zurückkehren oder, ja nachdem man es ansieht, in der Richtung auf diese Wahrheit erst vorwärts schreiten. Wenn sie das nicht tut, so wird sie ihren Einfluß auf die Völker noch schneller verlieren, als das jetzt schon geschieht. Und jedenfalls wird sie die Jüngeren, die noch nicht zu ihr gehören, nicht an sich heranziehen können, wenn diese die Möglichkeit haben, sich einer Lehre zuzuwenden, die tausendmal mehr Wahrheit und darum auch tausendmal mehr Kraft besitzt, als ihnen die Kirche bieten kann."
Das Größte, was wir kennen. S. 51
Auch wenn diese "Prophezeiung", interpretiert als ein Zulauf zum New Thought Movement, nur bedingt eingetreten sein dürfte, so hat doch die Kirche seit Trines Zeiten tatsächlich an Einfluss verloren. Dies aber, das muss man konzedieren, weniger deshalb, weil die erwähnten "Jungen" den "Neuen Gedanken" für sich entdeckt hätten, sondern weil sie vielmehr den Verlockungen des "Materialismus" erlegen sind. Der moderne Mensch wähnt sich "aufgeklärt" und "kritisch", wenn er der falschen Kirche (zurecht) den Rücken kehrt, bemerkt dabei aber nicht, dass er mit den vermeintlichen "Segnungen" des Kapitalismus einer noch wirkmächtigeren "Ideologie" anheimgefallen ist.
Dennoch: Der Mensch ist noch nicht zur Maschine geworden, und der "Materialismus" vermag ihn nicht zu befriedigen. Die eingangs erwähnte gesteigerte Nachfrage nach "spiritueller" Ratgeberschaft in einer technokratischen "Wüste" ist Ausdruck und Beweis dessen. Mangelnde
"Spiritualität" führt zu fehlender Sicherheit, fehlendem Selbstvertrauen und fehlender Eigenmacht,
die nur aus dem Inneren kommen können. Sie können weder erkauft noch durch "Äußerlichkeiten" ersetzt werden. Der sich selbst entfremdete Mensch sucht, ohne dass ihm diese Zusammenhänge bewusst wären, nicht zuletzt aus religiös geschürter Angst und daraus resultierenden Sicherheitsbedürfnissen
Gewissheit und Halt in Naturbeherrschung und technischem "Fortschritt". Mit diesen aber nimmt auch die Entfremdung weiter zu, und mit ihr wiederum wächst das Bedürfnis nach "Eigentlichkeit". Hier
könnte eine neue Form "positiven Denkens" ansetzen.